Warum es wichtig ist mit Stift, Spitzer, und Radiergummis das Schreiben zu lernen
Schönschrift adé?
Auf einem Bein stehen, rückwärts laufen, sich die Schuhe alleine zubinden, eine Figur ausschneiden, ein Bild malen. Fähigkeiten, die jedes Kindergartenkind früher spielend beherrschte, bevor es in die Schule kam. Sind sie in Zeiten zunehmender Digitalisierung wirklich notwendig oder einfach nur old school? Haben wir uns nicht um so vieles weiter entwickelt, sodass diese Eigenschaften zwar ganz nett, aber keinesfalls mehr notwendig sind, um im Alltag und in der Schule zurechtzukommen?
Heute bekommt das Kind ein Tablet und findet sich schon mit zwei Jahren bewundernswert schnell auf einem Smartphone zurecht.
Lehrer und Eltern beobachten gleichzeitig besorgt, dass Kinder in der Schule zunehmend unkonzentriert sind und dem Lernstoff nicht mehr folgen können. Bereits Grundschüler versagen, zeigen Unlust, möchten nicht mehr in die Schule gehen, entwickeln Ängste.
Immer mehr Kindern fällt das Schreiben mit der Hand, der Umgang mit Heft, Papier und Schreibwaren wie Bleistift, Anspitzer, Radiergummi und Federhalter schwer. Über siebzig Prozent der Kinder in Deutschland erwerben im Kindergartenalter nicht die entsprechenden Voraussetzungen, um den Schulstart erfolgreich zu bewältigen.
Schöner schreiben – besser lernen
Viele erinnern sich noch an ihre eigenen ersten Hefte. Das Üben von Schwüngen, das Nachzeichnen und Malen von Buchstaben und ersten Silben. Zur Belohnung gab es ein Bildchen, einen Stempel oder eine Eins.
Die angespitzten Blei- und Buntstifte in der Federtasche gehörten dazu. Das Anspitzen wurde oft vergessen, machte aber auch Spaß. Eine App ersetzt dieses Gefühl nicht.
Neurologen und Lernpsychologen haben Zusammenhänge zwischen Motorik und Denken festgestellt. Wer rückwärts laufen kann, kann schneller rechnen. Körperbeherrschung und Entwicklungen im Gehirn verlaufen parallel und bedingen einander. Wer mit einem Stift umgehen kann, erfasst Zusammenhänge schneller.
Die Lust am Schreiben lässt sich durch Zeichnen, Malen und Basteln wecken. Wellen-, Schlängel- und Zickzacklinien sind die Vorstufe zur verbundenen Schreibschrift. Das muss nicht stundenlang stupide geübt werden. Die meisten Kinder lieben den Umgang mit Stift, Papier und Anspitzer, mit Pinsel, Malkasten und Schere. So bildet sich die Feinmotorik ganz von allein aus: Im Spiel wird sie geübt.
Fingerspitzengefühl entwickeln
Misserfolge sind schwer zu verarbeiten. Unlust lässt sich nicht leicht überwinden. Der erhobene Zeigefinger, das mahnende Wort, Nachhilfestunde und Strafarbeit helfen da wenig. Sie verstärken die negativen Emotionen nur, verfestigen die Widerstandshaltung.
Was können Eltern, Erzieher und Lehrer tun, um Kindern das Lernen leichter zu machen? Die Antwort ist ganz einfach: Spielen.
Kinder sind von Natur aus neugierig. Das betrifft nicht nur neue technische Entwicklungen. Schreibwaren üben eine geradezu magische Anziehung auf Kinderhände aus. Bunte Farben, interessant gestaltete Oberflächen von Stiften, Hüllen, die sich aufstecken lassen, Bleianspitzer, deren Reservoir sich aufklappen lässt, sind Anlass zur Spielerei. Sinnlos? Keines Falls!
Wie beim ungeliebten Hemdzuknöpfen wird die Feinmotorik unbewusst geübt. So entwickelt sich das notwendige Fingerspitzengefühl, das man braucht, um einen Stift ergonomisch richtig zu halten. Das Kind lernt unbewusst, den Druck seiner Finger zu kontrollieren. So wird es später auf dem Papier nicht zu fest aufdrücken.
Beim Malen mit Buntstiften lernt es unterschiedliche Techniken des Zeichnens. Es kann fest aufdrücken und eine harte Linie ziehen. Beim Ausmalen großer Flächen geht es schneller, wenn der Stift lockerer in der Hand liegt und weicher aufsetzt.
Rechts und links sind beide richtig
Wer sein Kind beobachtet, erkennt, mit welcher Hand es bevorzugt arbeitet. Das muss nicht unbedingt die rechte sein. Viele Eltern reagieren immer noch besorgt, wenn sie erkennen, dass ihr Kind die linke Hand favorisiert.
Sie machen sich Sorgen, fragen nach den Ursachen, befürchten Schwierigkeiten in der Schule. Manche bemühen sich, das Kind auf rechts umzuschulen.
Das sollte unter allen Umständen unterlassen werden. Die Favorisierung der linken Hand hat neuronale Ursachen. Bei Linkshändern dominiert die rechte Hirnhälfte. Da beide Hirnhemisphären zusammen agieren, ist das weder ein Manko noch ein Plus. Es bedeutet lediglich, dass die linke Hand in diesem Fall die agierende, reaktionsschnellere und geschicktere ist.
In der Bundesrepublik gibt es etwa fünfzehn Prozent Linkshänder. Maler wie Picasso und Michelangelo waren Linkshänder, Schriftsteller wie Goethe und Kafka, Wissenschaftler wie Einstein und Marie Curie. Das Kind befindet sich also in guter Gesellschaft und passende Schreibutensilien gibt es für Linkshänder auch.
Spaß am Schreiben in der realen Welt
Goethe hatte kein Tablet, aber er konnte zweifellos schreiben, zeichnen und war äußerst vielseitig interessiert. Seine Farbenkunde beschäftigt heute noch Wissenschaftler. Die Entdeckung des menschlichen Zwischenkieferknochens geht auf ihn zurück. Sein Werk umfasst über vierzig Bände, bei weitem nicht nur Literatur. Er war Staatsmann und Politiker. Er wanderte und reiste viel. Er schrieb mit der Hand.
Heute haben wir ganz andere Voraussetzungen. Die Digitalisierung öffnet uns und unseren Kindern die Welt mit einem Klick. Täglich erreichen uns mehr Daten. Um das angebotene Wissen jedoch nutzen und verarbeiten zu können, bedarf es der Entwicklung auf verschiedenen Gebieten.
Die Handschrift wird durch Übung, Intelligenz und Persönlichkeit geprägt. Wer gut und flüssig schreiben kann, dem fällt das Zuhören und Denken einfach leichter.
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